Der (Alb)Traum
Es ist Sonntagabend und ich bin gerade dabei meine Papiere für den Besuch der Ernährungsstelle zu suchen um den Fragebogen noch auszufüllen. Dabei geht mir durch den Kopf, wie schnell doch eigentlich die letzten 4 Wochen vergangen sind. Wann wird es eigentlich endlich soweit sein, das diese Besuche im Ernährungscentrum vielleicht nur noch quartalsweise oder gar halbjährlich erfolgen müssen. Es ist schon erstaunlich zu welchen Leistungen unsere Wissenschaftler in der heutigen Zeit fähig sind. Eine Infusion hochkoloidaler Substanzen, einmal im Monat und der Nahrungs- und Energiebedarf für die nächsten 4 Wochen ist abgedeckt. Einziger kleiner Mangel nur, das ich mir heute noch überlegen muss, was ich an körperlichen Aktivitäten erledigen will im Zeitraum, damit dies bei der Zusammensetzung der Lösung beachtet werden kann. Morgen werde ich dann wieder Bekannte treffen wenn wir auf der Liege ruhen und uns austauschen wie die letzten Wochen verliefen. Sicher wird sich Alfred wieder beschweren, dass seine Energie nicht ausreichte und er so die letzten Tage nicht voll sein eigentlich gewolltes Pensum schaffte. Aber der packt es ja nie sich im Voraus ein paar ordentliche Gedanken zu machen um den Ernährungsexperten entsprechende Vorgaben zu geben, damit sie ihn ordentlich einstellen. Es ist schon erstaunlich wie schnell unsere Regierung dieses Programm auf den Weg gebracht hat. Es war ja ein ganz schöner Kraftakt diese ganzen Ernährungscentren in dieser kurzen Zeit in allen, auch noch so kleinen Orten einzurichten. Aber Gott sei Dank gab es ja da die Firma „Humanernährungsconsult“ die dieses Projekt so großherzig unterstützte. Alles nur zum Wohle der Menschen wie sie immer wieder versichern. Die Problematik des Übergewichtes kann so drastisch behoben werden. Die Erkrankungen der großen Gelenke gehen massiv zurück. Es werden nur noch selten Gelenkprothesen notwendig. Auch Herz-Kreislauferkrankungen sind stark rückläufig. Und wer genetisch veranlagt ist, der bekommt die Medikamente gleich über die Infusion verabreicht. Die Krankenbeiträge konnten dadurch gesenkt werden und die Zahl der Krankenhäuser wird enorm verringert. Einziger Nachteil ist, dass die Ernährungscentren nicht in bestehende Gesundheitseinrichtungen integriert werden dürfen. Laut gesetzlicher Vorgaben. Aber zum Glück kam ja die Unterstützung durch die forschenden Firmen und die Unterstützung durch Bund und Länder.
Ach, dann kommt ja morgen bestimmt auch diese Nervensäge Richard wieder. Dieser ewige Nörgler denkt nur an die Zeit vor der gesamtgesellschaftlichen Ernährungsumstellung. Immer wieder erzählt er, wie schön es doch war, mehrmals am Tag mit seiner Familie am Tisch zu sitzen, oder gar mit dem Auto in ein, vornehmes wie er immer sagt, Restaurant zu gehen und sich die Gerichte selbst auszusuchen. Oder die Tage als noch gemeinsam gekocht wurde. Jeder brachte seine Wünsche ein und beim Duft aus der Küche kam schon der Hunger. Das war doch alles vergeudete Zeit. Die kann man doch viel besser einsetzen. So kann ich jetzt viel zusammenhängender an meinem persönlichen Datenaustauschsystem meiner Arbeit nachkommen. Und wenn der dann erst noch erzählt wie schön es war als er noch Einkaufen ging und im Tante Emma-Laden in der Schlange an der Kasse alles Neue aus dem Ort erfuhr. Oder die Zeit lobte in der er sich um seine Blumen und Gemüsepflanzen im heimischen Garten kümmerte, sich über Schnecken und Ungeziefer ärgern musste, und dies auch noch als Erholung bezeichnet, dann wünsche ich mir endlich in eine andere Ernährungsgruppe zu kommen. Gut, ein wenig Duft den das Essen früher versprühte, würde ich mir schon manchmal wünschen. Aber die Vorteile die diese Ernährung bringt liegen doch auf der Hand. Viel mehr Zeit, da das leidige überlegen, was koche ich heute entfällt. Oder die stundenlangen Einkaufstouren. Was soll man aus der Fülle nur nehmen. Nein, da ist doch die Infusion viel besser. Man braucht nur den Termin einhalten und schon tun die netten Leute im Ernährungscentrum alles und die nächsten Wochen können ohne Stress angegangen werden.
Ob eigentlich Dieter morgen wieder da ist? Das ist ja ein prima Kerl. Der steht ja voll hinter dieser neuen Ernährungs- und Gesundheitsstrategie. Ich habe in der gesamten Zeit keinen getroffen, der sich so akribisch auf die Ernährungssitzungen vorbereitet hat wie er. Der wusste wirklich auf den Tag genau was er immer tat und welche Leistungen sein Körper leisten muss. Aber komisch, die letzten zweimal war er gar nicht da. Das ist mir bei dem Gelaber von Richard gar nicht aufgefallen. Aber irgendeiner hat erzählt, er hätte sich sehr zurückgezogen, ihm fehle der Kontakt zu anderen und hätte seltsame Symptome gezeigt, die mit Hilfe der Infusionen nicht zu beheben seien. Manche sagen gar, es hätte mit der neuen Ernährungsstrategie zu tun. Kann ich mir aber nicht vorstellen. Die Verantwortlichen sehen doch nur das Beste für uns. Aber wer weiß. Bei der Gelegenheit fällt mir ein, ich werde morgen auch mal fragen, warum ich in letzter Zeit so oft unkonzentriert bin und warum meine Haut so eine eigenartige Verfärbung zeigt. Das kann aber mit der Ernährung nicht zusammenhängen, oder?
Plötzlich wache ich auf. Schweißgebadet sitze ich im Sessel. Ich muss wohl kurz eingenickt sein. Ja, dann werde ich mal meine Hasen füttern gehen. Es war ja ein furchtbarer Traum. Diese Vorstellung von dieser Ernährungsform, igit! Wie sich wohl da der Magen und der Darm entwickelt wenn nichts mehr ankommt? Und mit Genuss hat das ja nichts mehr zu tun, oder? Aber was mache ich eigentlich mit meinen Tieren? Pellets und Wasser? Ist schon in Ordnung, oder? Klar, da geht die Fütterung ja schön schnell, der Mist ist in überschaubarer Menge und Verluste gibt es keine. Wenn dann noch die entsprechenden Rost eingebaut sind, dann ist das die Ideale Haltungsform. Aber wie überleben denn die Kaninchen in der Natur? Keine Pellets, keine steriles Umfeld, keine Trinkwasserzusätze? Es muss also auch anders gehen! Ist nicht das wichtigste viel Heu, Stroh, Grünes und vielleicht ein paar Körner? Entstehen Krankheiten nicht auch dann, wenn die Tierkonzentration zu hoch ist, die Zunahmen zu schnell erfolgen? Ich glaube, ich bin meinen Tieren etwas schuldig.
Gut das es nur ein Traum war. Aber vielleicht hat er auch sein Gutes? Würden wir uns so eine Ernährung freiwillig aufzwingen lassen?
PS.: Namen von Menschen und Firmen sind frei erfunden
Frank Scholz /Olbernhau
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