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Die Mondguckerkrankheit (Encephalitozoonose beim Kaninchen)
Ein jeder hat es sicher schon in seinem Tierbestand erlebt. Innerhalb von kürzester Zeit zeigen Tiere plötzlich auftretende Lähmungserscheinungen der Hinterextremitäten. Dazu kommt eine ebenso schnell auftretende Kopfschiefhaltung, welche unter Umständen mit Drehungen um die Körperlängsachse einhergeht. Der erste Gedanke ist dann, handelt es sich um einen Schlaganfall oder ist eine Verletzung der Wirbelsäule (Rückenmark) die Ursache. Dass es sich hier um eine Erreger bedingte Erkrankung handelt ist auf den ersten Blick schwer nachzuvollziehen, da traumatische Prozesse eher schnell zu derartigen klinischen Symptomen führen. Der Erreger dieser Krankheit ist Encephalitozoon Cuniculi. Dieser gehört zur Klasse der Protozoen. Protozoen sind obligat intrazellulär lebende Mikrosporidienarten. Übersetzt heißt das, Protozoen = einzellige Lebewesen, obligat = unerlässlich, zwingend, intrazellulär = innerhalb einer Zelle, im Inneren einer Zelle, Mikrosporidienart = Pilzgattung, Pilzart. Also handelt es sich um einzellige, pilzartige Lebewesen, die sich im Tier innerhalb von Zellen einnisten. Dieser Parasit befällt in erster Linie das zentrale Nervensystem (Gehirn und Rückenmark). Aber auch die Nieren, Leber, Milz, Herz, Darm, Lunge und Augen werden befallen und sind an der Erkrankung beteiligt. E. Cuniculi ist eine sogenannte "Zoonose", was bedeutet, dass die Erreger verschiedene Tierarten befallen können. Andere Säugetiere wie Mäuse, Meerschweinchen, Hamster, Ratten, Exoten, Hunde, Katzen und auch verschiedene Vogelarten können sich infizieren und sollten von erkrankten Tieren getrennt werden. Auch Menschen, deren Immunsystem geschädigt ist, können erkranken (bisher wurde der Erreger allerdings nur bei an AIDS erkrankten und in Chemotherapie befindlichen Patienten nachgewiesen). Eine Übertragung ist also sehr selten und kann beim gesunden Menschen ausgeschlossen werden. Ähnlich ist auch die Übertragung im Bestand. In der Regel erkranken selten mehrere Tiere gleichzeitig. Rund 80% aller Kaninchen sollen mit dem Erreger infiziert sein, ohne dass es zu Gesundheitsstörungen kommt. So kann in einer Gruppe von Kaninchen ein Einzeltier erkranken, während alle anderen gesund und munter sind. Ursache dafür könnte ein heruntergesetztes Immunsystem bei dem betreffenden Tier sein, also eine Folgeerkrankung oder eine Reaktion auf schlechte Haltungsbedingungen, Stress und andere krankmachenden Faktoren. Die häufigste Art der Übertragung ist die orale Aufnahme der vor allem über den Urin ausgeschiedenen Sporen. Eine Übertragung des Erregers von der Mutter auf die Feten vor der Geburt (intrauterin) ist ebenfalls möglich. Nach der Aufnahme der Sporen wird der Erreger im Darm von Fresszellen aufgenommen und mit ihnen über die Blutbahn verteilt. Die Infektion löst normalerweise keine Erkrankung aus. Der Wirt reagiert auf ein Eindringen des Erregers mit einer Immunantwort. Zu einem Krankheitsausbruch kommt es unter Umständen erst Jahre nach der Infektion bei einer Störung des Immunsystems. Es werden drei verschiedene Stämme von Encephalitozoon cuniculi unterschieden, wobei Kaninchen für alle drei empfänglich sind. In Europa spielt vor allem der Kaninchenstamm (Typ I) eine Rolle, der weltweit vorkommt. Bisherige Studien fanden bei gesunden Tieren Antikörper bei 7 bis 52 % der Hauskaninchen. Diese Seroprävalenz (Häufigkeit des Vorkommens im Serum) zeigt jedoch nur, dass die Tiere mit dem Erreger Kontakt hatten und ihn mit hoher Wahrscheinlichkeit noch in sich tragen. Das Erregerreservoir stellen vermutlich Wildkaninchen dar, bei denen die Seroprävalenz zwischen 4 und 25 % liegt, andere Hasenartige sind offenbar nicht Träger des Erregers. Encephalitozoon cuniculi Typ II (Mäusestamm) ist vor allem für Altweltmäuse krankheitsauslösend und wurde bislang nur in Europa nachgewiesen. Encephalitozoon cuniculi Typ III (Hundestamm) ist vor allem in Nordamerika und Südafrika verbreitet, befällt vorwiegend Hunde und ist für diese vermutlich der einzige potenziell krankheitsauslösende (pathogene) Stamm. In Zoos wurden weltweit auch Infektionen bei Halbaffen beobachtet. Die klassischen Symptome beim Kaninchen sind:
Nur durch eine sofortige und umfangreiche Behandlung können bleibende Schäden am Kaninchen verhindert werden! Sobald eins oder mehrere der oben genannten Symptome auftreten, muss das entsprechende Tier unverzüglich einem Tierarzt vorgestellt werden. Es ist nicht möglich, den Erreger vollständig aus dem Körper zu eliminieren. Die Tiere bleiben ein Leben lang infiziert. Es ist aber möglich, eine weitere Ausbreitung des Erregers zu verhindern und körperliche Schäden zu minimieren. Die infizierten Tiere müssen nach einer erfolgreichen Behandlung nicht dauerhaft separiert werden. Die Behandlung besteht in der Anwendung von Antibiotika, Vitamin B und einem Antiparasitikum. Das Antiparasitikum (Fenbendazol) muss dabei wenigstens über einen Zeitraum von 20 (!) Tagen angewandt werden. Wenn mit der Behandlung schnellstmöglich begonnen wird ist die Prognose als günstig einzustufen. Je später die Behandlung einsetzt, desto ungünstiger ist sie. In einigen Fällen kommt es bei Kaninchen zu einer Spontanheilung ohne Therapie. In besonders schwerwiegenden Fällen, kann es aber nach Abschluss der medikamentösen Behandlung mehrere Monate dauern, bis die Kopfschiefhaltung verschwunden ist. Die Erkrankung kann auch zu bleibenden Schäden am Gehirn führen, so dass es zu einer dauerhaften Kopfschiefhaltung kommt. Es ist weiterhin immer mit einem Rückfall zu rechnen. Von einer vorsorglichen, dauerhaften Gabe von Fenbendazol wird abgeraten, da der Erreger gegen den Wirkstoff Resistenzen bilden und eine immunsupprimierende Wirkung auslösen kann. Nimmt das Kaninchen freiwillig nur wenig Flüssigkeit zu sich, dann sollte diese ständig zugeführt werden. Außerdem muss, wenn das Tier nicht mehr in der Lage ist Futter aufzunehmen, es künstlich ernährt werden um die Darmfunktion zu erhalten. Zu Behandlungsbeginn ist es sinnvoll, die Käfige und Gerätschaften einer eingehenden Desinfektion zu unterziehen. Schlussbemerkung: Anhand der klinischen Symptome und der Einbeziehung der Haltungsbedingungen ist die Diagnose relativ leicht zu stellen. Wichtig sind eine unverzügliche Vorstellung des Patienten bei einem Tierarzt und der sofortige Beginn der Behandlung. Die zunehmende Aufgeklärtheit der Tierhalter über artgerechte Tierhaltung bringt mit sich, dass Kaninchen und Nagetiere in zunehmendem Maße auch Gartenbewohner sind, sei es ganzjährig oder auch nur in der warmen Jahreszeit. Diese ansonsten sehr zu begrüßende Entwicklung birgt das Risiko, dass durch andere Tierarten (Katze, Marder, etc.) sowie möglicherweise auch durch Wildkaninchen die Protozoen unter den Heimkaninchen stärker verbreitet werden. Aber auch bei ausschließlich im Haus gehaltenen Kaninchen wird die Encephalitozoonose beobachtet. Hier dürften wohl die Erreger über das Futter eingeschleppt werden. Dipl. vet. med. Frank Scholz /Olbernhau
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